Neulich in der Landesbibliothek …
Wie alles begann:
Mit erfolgreich antrainierter Effizienz steuere ich mit zügigem, dynamischen Schritt in einer logischen Reihenfolge auf eben die Regale zu, in denen laut meiner vorangegangenen Online-Recherche die von mir gewählten Bücher platziert sind: Tür auf, rüber zur Treppe, beiläufige Mini-Begrüßung an die Dame am Schalter (anstandshalber), über die Treppe statt den Aufzug in den dritten Stock (gesundheitshalber), zielstrebig nach hinten links, eine Trepper runter, Mitteltrakt, runter ins Erdgeschoss rechts abbiegen und direkt in den Kuppelsaal.
Zack, zack, zack.
Schon hab ich zusammen, was ich vorab als ausleihwert deklariert hatte. Abgesehen von einem kurzen Anflug von Ärger, als sich ein Buch nicht im Regal befunden hat, obwohl es online als verfügbar angezeigt wurde (ts ts ts, das geht natürlich gar nicht). Ansonsten verläuft alles nach Plan. Zeitlich bin ich gut im Rennen.
So, jetzt muss ich nur noch an den Schalter, um die gewählten Werke auszuleihen.
Tja – und da ist er der Moment, an dem ich an dem Regal mit Neuanschaffungen vorbei muss. Und ausgerechnet an einem kleinformatigen Taschenbuch bleibt mein Blick hängen:
„Unterwerfung als Freiheit – Leben im Neoliberalismus“.
Unterwerfung als Freiheit? Mmmh. Über was genau der Autor hier wohl schreibt? Nein, nicht ablenken lassen. Noch mehr als das Zeug, das ich schon in Händen habe, kann ich eh nicht lesen. Ach was, ich nehm’s einfach mal mit. Ich kann’s ja dann irgendwann mal durchblättern, wenn ich die anderen Bücher durch hab. Und Ausleihen kost ja nix.
Zu Hause stellt sich dann heraus: Ausgerechnet das vermeintliche Vielleicht-mal-später-Durchblätter-Werk befindet sich als erstes in meinen Händen. Wie ferngesteuert.
Ups, sind meine vermeintlich freien Entscheidungen gar nicht so sehr auf meinem eigenen Mist gewachsen, wie ich mir das bisher eingebildet habe? Bin ich mit meinem Weiterbildungswahn, meinem Perfektionismus und meiner Orientierung an vermeintlichen Bedürfnissen des Arbeitsmarktes ein klassisches Kind des Neoliberalismus?
Was für ein Glück! Es gibt Menschen wie Patrick Schreiner, die sich öffentlich mit den Fragen beschäftigen, die ich mir bisher nur ganz still und heimlich stelle und zwar in gelegentlichen, kleinen Anflügen von Zweifeln an der Richtigkeit vorherrschender Glaubenssätze:
Ist es wirklich eine Befreiung von staatlicher Einmischung, wenn öffentliche Aufgaben privatisiert werden? Was für Auswirkungen hat es, wenn nur die Höhe des Einkommens der Gradmesser für Leistung ist und nicht die ausgeübten Tätigkeiten selbst? Was passiert mit uns, wenn wir von allen Seiten her suggeriert bekommen, man könne alles schaffen, wenn man sich nur genug anstrenge – und dann doch scheitert? Sind wir nur wertvolle Mitglieder unserer Gesellschaft, wenn wir uns ständig optimieren, um immer genau den Anforderungen zu genügen, die Markt oder Gesellschaft gerade einfordern? Sind wir frei, wenn wir selbst unsere Bildungsentscheidungen nur derartigen Kriterien unterwerfen? Kann jeder alles schaffen, nur weil scheinbar jedem alle Möglichkeiten offenstehen?
Auch wenn meine eigene Sicht sich nicht in allem mit den An-(oder Ein-?)Sichten des Autoren deckt, halte ich das Buch für empfehlenswert.
Wer sich die Zeit nimmt, seinen Worten zu folgen und wer sich traut, seine Gedanken auf sich wirken zu lassen, für den wird das Ende des Buches der Anfang sein, sich zu fragen: Wo befinde ich mich auf dem
„Weg zur Knechtschaft.“? (Fazit-Kapitel des Autoren)
und wie komme ich von ihm wieder herunter.
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