Das Gegenüber reicht einem die Hand – und alle sind enttäuscht, wenn man sie tatsächlich nimmt?
Eine junge Frau, die längere Zeit in Japan gelebt hat, erzählte mir folgendes:
Immer wenn ihr jemand vorgestellt wurde, dann streckte die einheimische, japanische Person ihr nach westlicher Manier die Hand entgegen. Sie wiederum vollführte stattdessen eine kleine Verbeugung, wie sie im Vorfeld gelernt hatte, dass es in Japan in derartigen Situationen Brauch ist.
Wenn ich sie richtig verstanden habe, dann war es ihr immer etwas unangenehm, dass auf diese Art und Weise die Begrüßungs-Aktionen auf halbem Wege stecken blieben. Nach einer Weile dachte sie sich also (in etwa): „Also, wenn die mir immer die Hand geben wollen, dann nehm ich sie jetzt auch, sonst können wir die Begrüßerei ja nie richtig bis zum Ende durchziehen“. Langer Rede kurzer Sinn: sie machte in einer erneuten Kennenlern-Situation also keine Verbeugung mehr, sondern schüttelte die ihr entgegengestreckte Hand.
So. Juhu- endlich einmal diese peinlichen Situation der halbfertigen Begrüßung überwunden…
Doch was ist das? Irritation bei den neuen Bekannten, Schock bei den alten: „Du bist schon so lange in Japan und weißt nicht, dass man sich hier zur Begrüßung verbeugt!?“
Da wurde ihr klar: Es ging nicht darum, dass die Begrüßung zu irgendeiner Art „korrektem“ Abschluss kam, sondern nur darum, dass jeder die Chance erhielt, dem Gegenüber Respekt zu zollen und wertschätzend die Begrüßungsgeste anzuwenden, die offenes Interesse an den kulturellen Gepflogenheiten des anderen zeigte. In ihrer Anfangsphase der Unsicherheit hatte sie es also intuitiv richtig gemacht.
Und nun als Erfahrenere konnte sie wieder und mit vollem Bewusstsein mit ihren Verbeugungen das richtige tun, denn sie hatte erkannt: ein unterlassener Händedruck kann durchaus der wärmste sein.